Pu, der Bär

Pu, der Bär, sagt: „Obwohl Honig essen etwas sehr Gutes ist, gibt es doch einen Augenblick, kurz bevor man anfängt, den Honig zu essen, der ist noch besser als das Essen.“ Dieser Augenblick wiegt die tausend Mängel des Lebens auf, ohne schon die Fülle zu bringen. Dieser Vorgeschmack des Himmels, der uns das Wasser im Munde zusammen laufen lässt. Dieser Heißhunger auf Leben. Den können wir in der Vorweihnachtszeit einüben.

Denn vieles lässt auf sich warten. Gesundheit, Freiheit, Brot, Recht, Arbeit, Ruhe …   Angesichts der Mängel des Lebens bleiben viele Wünsche unerfüllt, müssen Menschen mit bittersten Enttäuschungen leben. Manche Menschen hören dann ganz auf zu hoffen und zu warten. Sie sehen keinen Sinn mehr in dem „Noch nicht“. Auch Kinder stöhnen über das „Noch nicht“, das sie so oft aus dem Munde der Erwachsenen in der Vorweihnachtszeit hören. „Noch ist nicht Weihnachten. Noch gibt es keinen Lichterbaum zu Hause, noch ist nicht Bescherung.“

Kinder können dem „Noch nicht“ auch etwas Gutes abgewinnen, weil sie fest davon überzeugt sind, dass etwas Gutes auf sie zukommt. Die Vorfreude schafft heute schon positive Lebensenergie. Vorfreude hilft Enttäuschungen zu verkraften. Denn Kinder ahnen, dass sich zwar viele Wünsche nicht erfüllen. Aber sie werden nicht leer ausgehen. Darum ist ihre Vorfreude ungetrübt.

Auch Erwachsene können Enttäuschungen besser verkraften, wenn sie sich die Vorfreude mit ihrer großen Lebensenergie nicht haben nehmen lassen. Dann nämlich kann die Gewissheit wachsen: Auch wenn sich meine Wünsche nicht erfüllen, gänzlich leer ausgehen werde ich nicht. Der Vorgeschmack auf das Süße hält in der Bitterkeit des Lebens die Sehnsucht wach.

Dr. Rainer Stuhlmann