„Lukas pur!“
Krippenspiel mit Überraschungen

Theologische Entdeckungen und Freilegungen zur Weihanchtserzählung
von Pfr. i.R. Dr. Rainer Stuhlmann

Wer ein originelles Krippenspiel sucht, dem empfehle ich eine am biblischen Wortlaut orientierte Neuinszenierung. Keine überfüllte Herberge, kein fremdenfeindlicher Wirt. Luthers Übersetzung („kein Raum in der Herberge“) führt in die Irre. Die Eltern fanden für das Neugeborene „in ihrer Unterkunft keinen Platz“ als den Futtertrog. Kein ausgebuchtes Hotel, sondern eine leere Höhle. Sie bietet von Oktober bis April Schutz vor Regen und Schnee für Hirtenfamilien mit ihren Herden, die im Sommer „in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden“ sind. Eine Geburt in lauer Sommernacht. Freilich eine „Stunde der Gefahr“. Eine Erstgebärende ohne die übliche Geburtshilfe von Nachbarinnen lässt die einsame Geburt in der Fremde zu einem blutigen Abenteuer werden, das Mutter und Kind nur wie ein Wunder überleben. Von Geburt an gefährdet wie Millionen andere. Dass dieses Kind sich von allen anderen unterscheidet, ist das andere Wunder. Nicht ersichtlich, kann es nur gehört werden.

Der zweite Akt beginnt mit Licht, das Angst macht, weil es nichts mehr sehen lässt. Umso besser lässt es hören. Ein Bote „tritt er herzu“, erdverbunden, nicht „vom Himmel hoch“. Eine kraftvolle Männerstimme aus dem Off verhindert, dass der Angelos zur Angela mutiert. „Der Neugeborene ist euer Retter.“ Zunächst der Retter ganz Israels, der Messias. Die Hirten sind die Repräsentanten Israels; Hirten wie Abraham, Isaak, Jakob, wie Mose und David. Danach ist er der universale Heiland für alle Kreatur. Eine doppelte Kampfansage an die Herrscherfiguren aller Zeiten, die scharf darauf sind, „dass alle Welt sich schätzen und beherrschen lässt“. Der Eine ist der Herr. Alle werden mit ihrem eigenen Namen genannt, der Neugeborene wird mit Gottes Namen genannt. Kyrios. JHWH. Keine „Menschwerdung Gottes“. Ein Mensch, der in Gottes Namen redet und handelt. Fleisch statt Gras im Futtertrog. Fleisch gewordenes Gotteswort, das nährt im Brot des Lebens. Noch steckt das Heil in den Windeln, aber ihm gehört die Zukunft. Himmlische Heerscharen, „Zebaoth“, weibliche Truppen, Soldatinnen sagen es. Sie singen nicht. „Sie lobten Gott und sprachen.“ Sie tun so, als sei die Ehre Gottes in der Höhe und der Friede auf Erden schon Wirklichkeit. In dieser Vorwitzigkeit liegt ihre Kraft. Beim Einzug in Jerusalem werden ihre Widerworte zu rhythmischen Sprechchören auf der Straße, die zum Widerstand aufrufen. „Wir sind hier, wir sind laut…“.

Im dritten Akt entziehen die Himmlischen sich – wie später der Auferstandene, lassen Menschen „auf Entzug“ zurück, krank vor Sehnsucht zu sehen, was sie gehört haben. Zugleich werden sie zu Engeln, Boten, die die ahnungslosen Eltern aufklären, was es mit ihrem Kind auf sich hat. Die gehört haben, bekommen sehende Augen, die gesehen haben, hörende Ohren. Die Mutter kocht das Gehörte ein wie verderbliches Obst, um etwas für den Winter zu haben. Denn die große Freude lässt noch auf sich warten. Die Vorfreude aber macht Beine. Am Ende steigen die Spieler:innen ins Parkett und das Publikum auf die Bühne.

Pfr. i.R. Dr. Rainer Stuhlmann